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Jetzt sprechen wir

Die Ausstellung kommt zu Wort – Ansprache zum Gottesdienst beim Gemeindefest am 14.9.2014

Wo bleibt sie nur?

Ich verstehe nicht, wo meine Freundin bleibt. Wir hatten uns für 5 vor 10 hier verabredet. Sie wollte doch, dass ich unbedingt mitkommen soll. Hat mir gestern Abend noch zweimal eine Nachricht hinterlassen. 

Also ich brauch das hier nicht. Wäre nie auf die Idee gekommen, am Sonntagmorgen, mitten in der Nacht!!! aufzustehen, um in die Kirche zu gehen! 

Und jetzt hat sie mich anscheinend versetzt. Hätte mir wenigstens noch eine SMS schicken können, wenn sie nicht kann oder verschlafen hat. Mist, ich hab mein Handy zu Hause vergessen! – Super. Das kommt vom frühen Aufstehen. 

Und jetzt sitze ich hier auf dieser gigantischen Ü-80-Party, hab jede Menge Spaß – hahaha –. 

Sie hat behauptet, hier gäbe es so einen Gospelchor und der wäre richtig gut. Bisher hab ich nur eine Orgel mit uralten Liedern und schrägen Texten gehört. 

Ob das wohl auch mal ein Ende hat? 

Der Typ da vorne, was für ein Langeweiler, keine Ahnung was der sagen will, aber alle um mich rum gucken ganz andächtig. Nicht auszuhalten. 

Und ich bin so dumm und setz mich so weit vorne hin und komm auch nicht mehr schnell raus ohne echt aufzufallen. Vielleicht wenn ich behaupte mir ist ganz schlecht? Ob das klappt? 

Oh, jetzt passiert was da oben auf dem Minibalkon. Da erzählt eine irgendwas von Schule und von Mobbing. – Also da könnte ich ein Wörtchen mitreden. Das kenn ich. Eine Freundin von mir haben sie mal völlig fertig gemacht mit so Bildern, die sie auf Facebook gepostet hat. Naja, hätte mir vielleicht auch passieren können. 

Was sagt die auf dem Minibalkon? – bei Gott gibt es kein Mobbing? Er nimmt dich an, wie Du bist. Auch die Außenseiter. Er kennt deine Schwächen und findet dich trotzdem gut? 

Ob das stimmt? Hmmmmmm… Mal drüber nachdenken. Einer, der nicht immer rumkritisiert und mich dauernd anders haben will – nicht so ist wie meine Eltern und mein kleiner Bruder. Und Gott möchte, dass wir alle überall uns gegenseitig ernst nehmen. 

Hmmmmm. Wenn das so wäre, könnte man drüber nachdenken, ob da was dran ist. Meine Freundin, die die mich hier versetzt hat, also die findet Gott toll und hat gemeint, ich könnte ja mal mit in’n Konfi-Unterricht kommen. Naja, wenn ich da auch wieder allein ohne sie rumsitze? – Aber mal sehn. Eben hab ich zumindest mal fünf Minuten zuhören können. 

Die Musik wird auch besser, echt fetzig. So geht die Zeit schneller rum, als gedacht. Den Rest sitz ich auch noch ab. Kein Problem. Gottesdienst echt mal was anderes und vielleicht kommt meine Freundin ja doch noch?

Seit 5. Juli habe ich hier Einiges gesehen. So lange waren wir jetzt hier. Es sind ziemlich viele Menschen in die Kirche gekommen, um uns zu sehen, aber auch, um durch die Kirche zu gehen, sich hinzusetzen, sich zu besinnen. Manchen bin ich zunächst gar nicht aufgefallen. Manche haben gerne neben mir gesessen, vor allem bei den Gottesdiensten. Die vorne Stehenden aus unserer Besuchsgruppe wurden manchmal zur Seite gerückt: bei Trauungen und großen Konzerten. Ich konnte einfach sitzen bleiben. 

Ich habe mich gewundert, was hier alles los ist. Ich erinnere mich an die Gospelnight im Juli, als die Kirche hier gerammelt voll war. An das Konzert der Chöre und den Einführungsgottesdienst der Konfirmanden vor den Ferien. Und an Jazz und Texte, als die Kirche wieder ganz voll gewesen ist – vor einer Woche. 

Heute Morgen geht es mir gar nicht gut. Deshalb bin ich ja auch hierher gekommen. Bis der Gottesdienst begonnen hat, habe ich so getan, als ob ich im Gesangbuch läse. Meine Frau hat mir gestern Abend gesagt, sie halte es nicht mehr aus mit mir. Dass ich keine Nerven mehr hätte und dauernd rumschreien würde zuhause. 

Was weiß sie denn von meinem Stress am Arbeitsplatz! Ich hab einpaarmal versucht, ihr was davon zu sagen, wie groß der Druck ist, den mir mein Chef macht. Da hat man abends keine Nerven mehr für Smalltalk und Zuhören. 

Aber das war gestern Abend wie eine Mine, die plötzlich hoch geht. Warum hat sie früher nichts gesagt zu mir? Wo ist ihre Geduld, für die ich sie immer so bewundert habe? Ich habe ihr das nie gesagt. Hätte ich vielleicht mal tun sollen, Ihr sagen, was ich toll an ihr finde. 

Da vorne am Altar haben wir geheiratet. Vor wie vielen Jahren war das noch? Ist ja auch jetzt egal. Von wegen: wo du hingehst, da will auch ich hingehen. Das war damals unser Trauspruch. War echt eine wirklich schöne Trauung. Der Pfarrer hatte sich so viele persönliche Sachen aus unserem Gespräch mit ihm behalten und alles in seine Rede eingebaut. Wir haben uns früher oft an unsere Trauung erinnert und ab und zu davon geredet. Die letzten Jahre dann nicht mehr. 

Da war immer mehr Schweigen abends zuhause. Schweigen oder Krach. 

Jetzt habe ich von der Predigt noch gar nichts mitbekommen. Hat schon längst angefangen. Wollte doch eigentlich wissen, ob er mir heute was zu sagen hat. Ist ja schon fast Aberglaube, zu denken, ausgerechnet mir sagt der Pfarrer heute eine wichtigen Satz. Wo über 100 Leute hier sind, die ganz andere Probleme haben oder eben gar keine Probleme in ihrem Leben. 

Halt, was hat er da gerade gesagt: ihr sollt Gräben zuschütten und Brücken bauen, anstatt weit weg voneinander zu rücken in eurem Alltag. Von neuem lieben lernen und zuhören, das sollt ihr, und Gott traut euch das zu, wenn ihr Zukunft spüren wollt.

Eben hat er mich angeguckt. War echt nur ein Zufall. Er weiß ja von nichts. Nichts von dem, was gestern Abend bei uns los war. 

Wie sollte er das wissen? Er redet doch Sonntag für Sonntag das Gleiche, und keiner hört ihm so richtig zu. Oder nicht? Kennt er das vielleicht selber: Streit und die Absicht sich zu trennen? Was er da sagt, klingt so, als ob er weiß, wovon hier die Rede ist. 

Ihr sollt Gräben zuschütten und Brücken bauen, anstatt weit weg voneinander zu rücken in eurem Alltag. Von neuem lieben lernen und zuhören, das sollt ihr, und Gott traut euch das zu, wenn ihr Zukunft spüren wollt. Als ob er mich und meine Frau gemeint hätte. Ob ich ihr das erzählen soll nachher? Ob das was nützen kann? 

Unseren Trautext haben wir beide damals sehr ernst genommen…Lieber Gott, ich fühl mich so elend, wenn sie wirklich geht. Hilf uns, dass wir es noch mal miteinander packen für ein paar Jahre. Hilf uns, Gott; wenn nicht du, wer sonst?

Schön, dass Sie unseren Gottesdienst heute besuchen. Ich freue mich. Aber denken Sie bitte daran: Heute sehen Sie auch das letzte Mal unsere Ausstellung! 

Ja, Sie vermuten richtig: Ich arbeite hier in der Gemeinde mit und bin auch gerne in der Kirche. 

Es ist einfach schön, hier zu sein und die vielen Menschen zu erleben, die in die Dankeskirche kommen, ihre Ruhe suchen oder einfach nur die Kirche auf sich wirken lassen wollen oder den Gottesdienst besuchen. 

Mir selbst schenkt der Kirchenraum oft auch ganz viel Ruhe, vor allem wenn ich einmal alleine hier drin bin. Dann kann ich meinen Gedanken freien Lauf lassen und wie von selbst komme ich ins Gespräch mit Gott. Hier scheint er mir manchmal näher zu sein. 

Besonders die Ausstellung hat mir viel Spaß gemacht. 

Da bin ich immer wieder mit den Menschen ins Gespräch gekommen. Es war interessant und anregend. Die meisten haben sich gefreut, dass sie endlich einmal Kunst sehen, die man richtig erkennen kann. Und gerade die Kinder hatten ja gar keine Berührungsängste. Die haben sich an uns Figuren gelehnt, uns gestreichelt – die Erwachsenen dagegen haben sich oft zuerst einmal nicht getraut und haben gefragt, ob sie uns Figuren berühren dürfen. Es hat mir außerordentlich gut gefallen, dass man Kunst anfassen durfte. 

Ja, das war schon eine spannende Zeit, jetzt wird es wahrscheinlich erst einmal etwas ruhiger werden. Aber heute wird noch einmal richtig gefeiert, da habe ich dann auch noch einiges zu tun. Sie bleiben sicherlich auch noch etwas, dann sehen wir uns vielleicht noch beim Gemeindefest…. 

Heute heißt es Abschied nehmen von den stillen Besuchern hier in unserer Dankeskirche. Sie haben viele Menschen beeindruckt. 

Exemplarisch lese ich Ihnen jetzt ein paar Einträge aus dem Buch zu unserer Ausstellung vor:

  • Die Figuren stehen im Raum, kontemplativ. Denken sie nach, hören sie? Ich werde angestoßen zu sitzen, zu hören, zu staunen.
  • Wunderbar. Sie scheinen so lebendig, Typen unserer Zeit.
  • Dieses Ensemble wirkt so lebensecht, fehlt nur noch der Odem des Herrn.
  • Man denkt, sie würden im nächsten Moment zum Leben erwachen. 

Heute sind 3 Figuren aus der Ausstellung für uns zum Leben erwacht. 

Sie haben zu uns gesprochen und etwas aus ihrem möglichen Leben preisgegeben. Und bei allen dreien klingt durch, dass der besondere Raum, die Kirche selbst und auch der Gottesdienst und die Musik einen innerlich berühren können und manchmal wird vielleicht sogar die eigene Wirklichkeit zurechtgerückt.

Hier in der Kirche sind wir Gott nahe, vielleicht auch deshalb, weil wir unsere Gedanken und unser Herz öffnen, weil wir bereit sind, ihm Platz in unserem Herzen und in unseren Gedanken zu geben. Und weil wir uns dafür die Zeit nehmen, weil uns unser Alltag nicht ablenkt. 

Wenn wir unser Herz öffnen und uns von Gott anrühren lassen, dann können wir auch mit ihm reden, ihm alles anvertrauen. 

Und wir können Gott loben und ihm zu Ehren singen – so lassen Sie uns nun das Lied Laudato si singen: Sei gepriesen, du hast die Welt geschaffen…

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